Sherry B. Ortner unterscheidet in Ihrem Auszug die Frau von dem Mann und zeigt gleichzeitig auf, wie sich beide Geschlechter jeweils zur Natur sowie zur Kultur verhalten.
Zu Beginn des Textes schreibt Ortner von der kulturspezifischen Vorstellung der Frau.
Die kulturspezifische Vorstellung sowie ihre Symbolisierungen sind vielfältig aber auch widersprüchlich. Die Frau ist grundsätzlich in soziale und wirtschaftliche Organisationen sowie Gesellschaften, wenn auch in unterschiedlichster Komplexität, untergeordnet.
In der Ideologie der chinesischen Kultur (Taoismus) dagegen sind Ying, das weibliche Prinzip, und Yang, das männliche Prinzip, gleich wichtig. Daher werden sie auch gleichermaßen geschätzt.
„Die Opposition, das Alternieren und die Interaktion dieser beiden Kräfte lässt alle Phänomene im Universum entstehen“. (Zitat)
Dieses Denken ist jedoch nur in einer archetypischen patriarchalen Gesellschaft, wie in China üblich. Vermutlich führt es daher, dass im chinesischen Buddhismus die zentralen Gottheiten grundsätzlich weibliche Gottheiten sind.
Um die Vorstellung und damit verbunden die Probleme des Ebenbildes der Frau besser verstehen zu können, hat Ortner zwischen drei verschiedenen Ebenen des Problems unterschieden:
- Es ist eine universale Tatsache, dass Frauen den sekundären Status in jeder Kultur zugewiesen bekommen.
- Spezifische Ideologien, Symbolisierungen sowie sozio-strukturelle Ordnungen, die die Frauen betreffen, weisen von Kultur zur Kultur vielfältige Unterschiede auf.
- Frauen können im Gesamtsystem niemals eine übergeordnete Stelle/Funktion einnehmen.
Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass die Frau in der kulturellen Bewertung überall und in jeder bekannten Kultur grundsätzlich als dem Mann unterlegen angesehen wird.
Das wird unter anderem daran fest gemacht, dass um ihre Rollen, ihre Aufgaben, ihre Erzeugnisse sowie um ihr soziales Milieu weniger Ansehen eingeräumt wird, wie das bei den Männern grundsätzlich der Fall ist. Außerdem werden Frauen aus den heiligsten Riten des höchsten politischen Rates ausgeschlossen. Die Suche nach einer gleichberechtigten sowie matriarchalen Kultur hat sich daher als ergebnislos erwiesen.
Früher hatten Frauen bei den matriarchalen Crows unter anderem hochgeachtete Ämter im Sonnentanz inne. Dennoch wurden sie, vor allem während ihrer Menstruation, sozial abgewertet.
In dieser Zeit dürfen sie sich keinem verletzen Mann oder Mann allgemein vor dem Krieg nähern, um nicht die Quelle der Ansteckung zu sein. Außerdem durften sie dann nur auf schlechteren Pferden reiten. Bis heute noch ist es ihnen verboten, zu dieser Zeit in die Nähe heiliger Gegenstände zu kommen.
Betrachtet man das Geschlecht der Frau biologisch, so lässt sich sagen, dass ihr das genetische „Etwas“ fehlt, was sie naturbedingt, wie beim Mann, zum überlegenen Geschlecht macht.
Die Frau wird mit etwas identifiziert oder ist Symbol von etwas, was von jeder Kultur abgewertet wird und grundsätzlich niedriger angesetzt wird als die Kultur selbst. Die Natur dagegen, in ihrer allgemeinen Bedeutung, kann sich sehr gut mit der Rolle der Frau identifizieren.
Natur als auch Kultur sind natürliche begriffliche Kategorien, in der sich in der realen Welt keine Grenzen zwischen diesen beiden Zuständen oder auch Lebensbereichen finden lassen. Laut einer These können primitive Völker keinen Unterschied zwischen einem menschlichen Kulturstand und einem Naturzustand wahrnehmen können. Diese These wird jedoch bezweifelt und ist umstritten.
Ein hervorgehobener Bereich des kulturellen Denkens ist der Bereich der Konzepte von Reinheit und Unreinheit.
„Eine verbreitete Folge der Vorstellung von Reinheit und Unreinheit, (die) kulturvergleichend wirksam ist, ist die Idee von der natürlichen „Ansteckung“ durch die Unreinheit“. (Zitat)
Die Kultur überschreitet in den meisten Fällen natürliche Bedingungen. Diese kann sie dann zu ihren Zwecken einsetzen. Die Kultur erkennt also, dass Frauen aktiv an bestimmten Prozessen teilnehmen und meint damit, dass Frauen mit der Natur verwurzelter und mehr mit ihr verbunden sind.
Um festzustellen, warum Frauen der Natur näher stehen als der Mann, unterscheidet Ortner zwischen drei Ebenen.
In der ersten Ebene sagt sie, dass der Körper der Frau mit seinen Funktionen und der zusätzlichen Zeit, die sie auf die Gattung Leben richtet, der Natur näher zu bringen scheint.
In der zweiten Ebene ordnet der Körper der Frau mit seinen Funktionen ihr eine soziale Rolle zu.
In der dritten Ebene verleihen die traditionellen sozialen Rollen der Frau, die ihr aufgrund ihres Körpers mit seinen Funktionen zugeordnet sind, eine andere psychische Struktur zu.
Simone de Beauvoir ist der Meinung, dass die Frau mehr als der Mann in Abhängigkeit von der Art steht. Zudem verweist sie darauf, dass Prozesse sowie zentrale Teile im Körper der Frau keine sichtbare Funktion in Bezug auf Gesundheit und der Stabilität des Individuums haben. Sie sagt auch, dass die Frau von der Gattung her stärker versklavt ist wie der Mann, da ihr animalischer Charakter manifester ist. Anders gesagt, durch ihren Körper scheint sie zur bloßen Reproduktion verdammt.
Die Frau kann jedoch nicht komplett der Kategorie Natur zugeordnet werden, da sie, wie der Mann, ein richtiges menschliches Wesen ist, welches ein menschliches Bewusstsein hat. Zudem macht die Frau die Hälfte der menschlichen Rasse aus. Auch ist das Schaffen der Frau natürlich, sie wirkt aus sich selbst heraus. Der Mann dagegen ist frei oder gezwungen, Dinge auf künstliche Weise zu erschaffen.
Die Verbindung der Frau mit dem häuslichen Umfeld und der Prozess der Schwangerschaft und des Stillens sowie die ständige Assoziation mit ihren Kindern, bestätigt die Auffassung, dass sie der Natur auf verschiedene Weise nähersteht.
Auch Kinder fallen oft in die Kategorie der Natur. Die enge Verbindung mit der Frau mit ihren Kindern, vergrößert die Möglichkeit, sie der Natur zuzuschreiben.
„Die zweite grundlegende Folge, die sich aus der engen Verbindung der Frauen mit ihrem häuslichen Umfeld ergibt, beruht auf bestimmten strukturellen Konflikten zwischen der Familie und der Gesellschaft in ihrer Gesamtheit, die in jedem sozialen System herrschen. (Zitat)
Die Familie, damit verbunden vor allem die Frau, repräsentiert Interessen, die eher auf einer niedrigeren Ebene anzusiedeln sind. Die Männer dagegen, denen eine familiäre Orientierung fehlt, werden bei den interfamiliären Beziehungen eingeordnet. Daher sind Männer die natürlichen Eigentümer von Religion, Politik und anderen Bereichen kulturellen Denkens sowie kultureller Tätigkeiten. Die Frau kann zudem nicht vollständig der Natur zugeordnet werden, da sie neben der Erziehung, für die primäre Vermittlung ihrer frühen Sozialisation zuständig ist. Dies ist ein wichtiger Bestandteil der Kultur, da sie aus reinen Organismen kultivierte menschliche Wesen verwandelt, indem sie diesen richtige Verhaltensweisen beibringt, so dass diese vollständige Mitglieder der Kultur werden können. „Schon allein aufgrund ihrer Sozialisationsfunktion könnte sie die Kultur kaum eindeutiger repräsentieren“. (Zitat) Die Persönlichkeit der Frau neigt dazu, sich eher konkret mit Gefühlen, Dingen oder Menschen auseinanderzusetzen. Sie repräsentieren Erfahrungen auf relativ zwischenmenschliche, subjektive, unmittelbare Weise. Männer dagegen repräsentieren die Erfahrungen des Selbst, der Anderen, von Raum und Zeit auf individualistische, distanzierte sowie objektive Weise.
Allgemein gesagt, sind Männer also objektiv und Frauen eben subjektiv.
Die weibliche Persönlichkeit wird zudem durch Personalismus und Partikularismus bestimmt. Frauen neigen dazu, Beziehungen mit der Welt einzugehen, die der Kultur eher „wie Natur“ als „wie Kultur“ erscheinen lassen.
Literaturverzeichnis:
Auszug aus: Ortner, Sherry B.: „Verhält sich weiblich zu männlich wie Natur zur Kultur?“, übers. v . Schamma Schahadar, in: Gabriele Rippi (Hg.), Unbeschreiblich weiblich. Texte zur feministischen Anthropologie, Frankfurt a.M..: Fischer Taschenbuch Verlag 1993, S.118-132